„Sozialversicherungssystem gräbt Familien das Wasser ab“ - Korrektur dringend nötig

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Datum:
Mo. 20. Nov. 2017

Das Sozialversicherungssystem in Deutschland muss durch die Aufnahme von existenzsichernden Kinderfreibeträgen dringend korrigiert werden. Dafür hat sich der ehemalige Vorsitzende Richter am Landessozialgericht Hessen, Jürgen Borchert, zuletzt auf der Fachtagung „Beitragsgerechtigkeit in den Sozialversicherungen“ in Potsdam mit Nachdruck ausgesprochen. 

Erziehungsleistungen und Unterhaltspflichten würden in Deutschland bislang viel zu wenig im Sozialversicherungssystem berücksichtigt, sagte er. Darauf habe das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach hingewiesen. Ohne die nötige Korrektur würde Eltern durch die Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung ökonomisch das Wasser abgegraben, so Borchert. Bei den Löhnen sei nicht berücksichtigt, wie viele Personen davon ernährt werden müssten. Bei der sekundären Einkommensverteilung – also den Steuern und Abgaben – habe deshalb der Staat die Pflicht, Familien zu entlasten, um der hohen Familienarmut zu begegnen und Voraussetzungen für mehr Kinder zu schaffen.

Die Aufnahme von existenzsichernden Kinderfreibeträgen in den Sozialversicherungen würde nach Borcherts Einschätzung die hohe Familienarmut in Deutschland wirksam bekämpfen. Das sei umso wichtiger, da trotz einer immer weiter gestiegenen Elternerwerbstätigkeit die Familienarmut weiter zunehme, auch bedingt durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Aber auch reguläre Einkommen auf dem Arbeitsmarkt würden die Mehrausgaben von Eltern nicht berücksichtigen.

Erschwerend komme hinzu: „Erwerbstätige Eltern haben mit den Sozialversicherungsbeiträgen eine extreme Abgabenlast zu bewältigen, die sie in die Sozialhilfe drängen. Sozialversicherungsbeiträge müssen nach Leistungsfähigkeit bemessen werden. Insbesondere Alleinerziehende werden in keinem anderen Land so hart rangenommen wie in Deutschland“, sagte Borchert. Dabei habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil aus dem Jahr 2001 klargemacht, dass Eltern zwei
Beiträge für die Sozialversicherungen leisten: neben den monetären auch die Erziehungsleistung.
„Wenn wir das System nicht ändern, dann fördert der Staat weiter Kinderlosigkeit“, sagte Borchert. Schon heute gäbe es in Deutschland nur noch 700.000 Geburten pro Jahr. Die Zahl würde schon bald auf 600.000 sinken, warnte der Jurist. Ohne Kinder sei aber ein umlagefinanziertes Rentensystem nicht zukunftsfähig. „Das Rentensystem unterminiert heute seine eigene Basis“, sagte Borchert. „Mit diesem System fahren wir rasant an die Wand.“

„Familien sind die tragenden Säulen der nachwachsenden Generationen.“

Sympathien für seine Forderung erhielt Borchert von Familienverbänden und aus der Politik.
Matthias Dantlgraber, Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken, unterstützte die Forderung Borcherts: „Es muss schlicht die ökonomische Tatsache stärker berücksichtigt werden, dass Familien höhere Ausgaben haben. Das
muss auch in den Sozialversicherungsbeiträgen seinen Ausdruck finden. Denn ohne den generativen Beitrag von Eltern ist kein Staat zu machen.“
Auch Christiane Kömm, Vorsitzende des Familienbundes Bamberg, betonte die Notwendigkeit eines Umdenkens in Bezug auf die Beitragsbelastung von Familien. Sowohl Politik, als auch die Gesellschaft müssten die Leistung von Eltern mehr würdigen. „Familien müssen finanziell entlastet werden, da ohne ihren Einsatz ein Fortbestand unserer Gesellschaft nicht möglich ist. Kinderlosigkeit und Kinderzahl dürfen kein Resultat finanzieller Abwägungen sein!“ Diese Unterstützung sei jedoch nicht nur monetär zu sehen. Sie wünsche sich insgesamt eine kinderfreundlichere und familiengerechtere Denkweise in allen Bereichen.